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Franziska von Becker, Principal bei der Unternehmensberatung hachmeister+partner (h+p), spricht derzeit lieber von Transparenz als von Nachhaltigkeit. Dass beides unmittelbar zusammenhängt und einander bedingt, zeigt einmal mehr der von ihr initiierte Roundtable für Händler, Hersteller und Dienstleister, der dieses Mal bei Tom Tailor in Hamburg stattfand. Ergebnis sind klare Handlungsanleitungen für das Zukunftsthema schlechthin - wie auch immer man es nennen mag.
Veröffentlicht am 24.10.2024
Franziska von Becker, Principal bei der Unternehmensberatung hachmeister+partner (h + p), spricht derzeit lieber von Transparenz als von Nachhaltigkeit. Dass beides unmittelbar zusammenhängt und einander bedingt, zeigt einmal mehr der von ihr initiierte Roundtable für Händler, Hersteller und Dienstleister, der dieses Mal bei Tom Tailor in Hamburg stattfand. Ergebnis sind klare Handlungsanleitungen für das Zukunftsthema schlechthin - wie auch immer man es nennen mag.
Ein Stammkunde, ein Bauer aus der Umgebung, bot direkt an, seine Eier im Laden zu verkaufen. Stephanie Essack lacht. An das Angebot erinnert sich die Nachhaltigkeits-Managerin vom Modehaus Ramelow noch gut. Es kam auf einem der ersten Kundenforen, die sie vor fünf Jahren im Modehaus Ramelow zu ihrem Lieblingsthema organisiert hat. "Da mussten wir die Leute noch richtig abholen, ganz viel reden, ganz viel erklären, was Nachhaltigkeit eigentlich für uns heißt", erzählt Essack bei ihrem Vortrag auf dem Roundtable von hachmeister+partner zum Thema "Transparency – zusammen neu denken".
Kostendruck von allen Seiten
Treffpunkt ist Hamburg, das Headquarter von Tom Tailor. Mehr als 30 Händler und Hersteller, Forscher und Dienstleister sitzen in einem der Besprechungsräume auf der Galerie über dem Showroom mit der aktuellen Herbstkollektion. Die Unternehmensberatung h + p hat Sustainability-Spezialisten von L&T in Osnabrück, P&C Düsseldorf, More&More, Alberto, Gabor, Gardeur, Olsen und Seidensticker eingeladen, um über den aktuellen Stand ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen zu diskutieren.
"Es ist noch schwieriger geworden. Wir beobachten eine gewisse Nachhaltigkeits-Müdigkeit. Dennoch werden wir auch in diesen herausfordernden Zeiten des Kostendrucks von allen Seiten nicht nachlassen in unseren Bemühungen. Denn daran führt kein Weg vorbei. Das weiß ich, seitdem mir klar ist, was für eine große Belastung unsere Branche für die Umwelt ist", berichtet Tom Tailor-Chef Gernot Lenz in seiner Keynote. Und seine CSR-Managerin Juliane Nowakowski ergänzt: "Dabei geht es längst um mehr als nur das Produkt. Wir verfolgen eine langfristige Nachhaltigkeits-Strategie, die alle Bereich erfasst."
Der Treiber sei Transparenz. "We cannot fix what we cannot see", steht auf einer ihrer Folien. Seit 2022 arbeitet Nowakowski mit dem Dienstleister Retraced daran, die "Black Box" der Lieferkette zu öffnen und den Weg der 4500 bis 5000 Styles, die Tom Tailor jedes Jahr auf den Markt bringe, komplett rückverfolgbar zu machen. Quer durch Asien, durch alle neun Sourcingländer des Konzerns.
In kleinen Gruppen laufen Trainings mit den Lieferanten, permanent gibt es individuelle Workshops und Beratungstermine. Inzwischen loben die Hamburger sogar monatlich einen Transparency Award unter ihren Herstellern aus. "Das ermutigt alle total und ich kann nur jeden ermutigen, rechtzeitig zu starten – das erwarten nicht nur die EU-Politiker in Brüssel, sondern auch unsere Kunden."
Fragebögen für die Markenpartner
Stephanie Essack nickt. Schon 2018 wollte sie bei den Lieferanten der fünf Ramelow-Modehäuser den Status Quo erheben in Sachen Sustainability. "Damals kamen die ersten Mitarbeiter von der Fläche und erzählten, dass ihre Kunden genaue Informationen wollen." Also hat sie nicht nur die ersten Kundenforen organisiert, sondern auch ausführliche Fragebögen an die mehr als 100 Markenpartner geschickt. Und im vergangenen Jahr nochmal nachgehakt. Diesmal online und mit 74 statt 38 Fragen zu den Themenfeldern Ökologisches, Soziales, Regulatorik und Lieferkette. Und einem eigenen Abschnitt zur Transparenz.
Mit 64% qualifizierten Rückmeldungen war die Resonanz fast genauso groß wie vor fünf Jahren. Jeder zweite Teilnehmer hatte auch 2018 schon teilgenommen. Die deutliche Mehrheit (80%) erachtet das Thema als wichtig bis sehr wichtig und für 86% ist Transparenz dabei wesentlich. Gleichzeitig veröffentlichen allerdings drei Viertel ihre Zulieferer noch nicht.
Viele der Ergebnisse waren Basis für den ersten Nachhaltigkeitsbericht, den Ramelow als einer der ersten mittelständischen Händler vor einem Jahr veröffentlichte. Der zweite ist in Arbeit – mit doppelter Wesentlichkeitsanalyse. Eine riesige Herausforderung, sagt Essack. Die sie wollte, nicht ihr Chef Marc Ramelow, erzählt sie.
"Ich wollte unbedingt wissen, wo wir stehen und eine Basis schaffen." Ihre Learnings aus dem ersten Bericht mit dem Titel "People. Planet. Profit" kann sie in vier Punkte fassen. Dabei geht es vor allem um eine branchenweite Definition für den Begriff Nachhaltigkeit, um Transparenz bei den Bewertungskriterien und eine klare Kommunikation des Mehrwertes für den Kunden.
Motivation einzelner Mitarbeiter
Beim zweiten Bericht mit dem Titel "Change tomorrow now" hatte Essack auch ihre Kollegen noch stärker im Blick. "Beim ersten Mal habe ich mich unter unseren 250 Mitarbeitern umgehört, wie der Bericht ankam und war extrem ernüchtert, als nur zehn sagten, sie hätten mal reingelesen."
Also gingen die Fragen diesmal nicht an die Lieferanten, sondern ans eigene Team. "Ich habe gemerkt, wie schwierig es ist, alle Mitarbeiter zu erreichen, weil Verkäufer andere Themen haben als Einkäufer beispielsweise", berichtet Essack.
Auf Folie elf hat sie die drei Learnings aus ihrem zweiten Nachhaltigkeitsbericht zusammengefasst. Die Kernfrage ist, wie alle Mitarbeiter erreicht und mitgenommen werden können. Denn Engagement für das Thema brauche eine intrinsische Motivation.
Oder, wie Tanja Kliewe-Meyer, die neue CSR-Managerin von Brax, es in der Diskussionsrunde wenig später formuliert: „" Mitarbeiter müssen einfach so überzeugt werden, dass sie intrinsisch motiviert sind." Jürgen Sabelhaus von Bültel berichtet dann gern von seinen so genannten "Moor-Events", von Aktionen, bei denen sich Mitarbeiter einen ganzen Tag mit vollem Körpereinsatz vor Ort für den Moorschutz engagieren. "Das sind Erlebnisse, die schweißen zusammen", sagt er.
Angst vor dem Klimawandel
Ins Tun kommen, darum geht es ohnehin. Das ist der Appell an alle Anwesenden, das Fazit der Organisatorin von Becker. "Do something!", steht auf der letzten Folie ihrer Präsentation. Weiße Buchstaben über einem wogenden Meer. Für sie sind dabei Angst und Überforderung ein wesentlicher Treiber. Sie hat Zahlen der McKinsey-Studie "The State of Fashion 2024" mitgebracht.
Demnach haben 39% der Konsumenten Angst vor dem Klimawandel. Und 52% der Bekleidungs-Produktion seien direkt von den Folgen der klimatischen Veränderungen betroffen. Das überfordere vor allem die Nachhaltigkeits-Manager. Von denen kündige die Hälfte deshalb innerhalb von zwei Jahren; 65% davon mit der Begründung, dass es nicht vorangehe.
Klare Definition von Nachhaltigkeit
Dagegen helfe eine klare Struktur. Von Becker definiert sechs große Herausforderungen beim Managen von Nachhaltigkeit. Dabei beginnt es für die Beraterin genauso wie für Händlerin Essack mit einer klaren Definition von Nachhaltigkeit. Weiter geht es mit der Transparenz in den komplexen Lieferketten.
Auch Knowhow muss vorhanden und abrufbar sein auf den verschiedenen Ebenen. Anschub brauche auch die Kundennachfrage – gerade im Dilemma zwischen Preis versus Nachhaltigkeit. Genauso wichtig sei eine "systemische Integration" der früheren Excel-Tabellen, Daten, Faxe, Zettel in IT-Plattformen. Und all das binde Ressourcen. "Und das längerfristig, denn es bringt eben nicht sofort einen Return of Invest", fasst von Becker zusammen.
Und die h + p-Beraterin wird noch deutlicher: "Jetzt wird es ernst, jetzt ist aus dem früheren Romantik-Thema ein Zukunfts-Thema geworden. Und das ist nicht mehr freiwillig und das kostet Geld."
Maike Rabe, die sich als Professorin der Universität Niederrhein seit Jahren mit Thema von der wissenschaftlichen Seite aus beschäftigt, rät den Anwesenden in einem Schlusswort, sich in einem ersten Schritt auf wesentliche Key-Indikatoren zu konzentrieren.
Sie definiert drei: Den Energieverbrauch, dessen Umstellung sie am wichtigsten findet. Dann folgen das Minimieren der Abfallberge und das Reduzieren der Ressourcen. "Hier können Unternehmen anfangen, sich Schritt für Schritt zu verbessern und Heranzurobben an selbst gesetzte Ziele."
Problemlösungen versprechen Dienstleister wie Retraced, Assyst, Adesso und das KI-Tool von h + p, deren Services die TW in loser Folge in den kommenden Sustainability-Newslettern präsentieren wird.
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