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Selten war das Fashion-Business so unstet wie aktuell. Krisen, Chancen, Herausforderungen allerorten. Zeit für einen Moment des Innehaltens und der Analyse. Was den Modemarkt 2023 ausgemacht hat. Und was für 2024 zu erwarten ist. Fünf Fragen an fünf Marktexpertinnen und -experten.
Veröffentlicht am 12.12.2023
1. Welche Marktentwicklung hat Sie 2023 am stärksten überrascht?
Axel Augustin, BTE
Eigentlich war keine bedeutende Marktentwicklung wirklich überraschend. Der Anstieg der Insolvenzen oder das Wiedererstarken des stationären Fachhandels waren bereits seit 2022 absehbar. Insofern war ich nur etwas verwundert, wie optimistisch etliche Onliner für 2023 Ware eingekauft haben und dadurch hohe Lagerbestände aufbauten.
Petra Dillemuth, GfK
Mich hat es gewundert, dass ein Teil der Käufer eher auf Modekäufe verzichtet hat, statt eine Preislage günstiger zu kaufen. Bei FMCG haben wir gesehen, dass der Discount gewonnen hat. Bei Fashion gab es diesen Effekt nicht, da wurde nicht in den günstigeren Kanal gewechselt, sondern eher auf den Kauf verzichtet.
Ulla Ertelt, HML Modemarketing
Die Entwicklung am Modemarkt war nicht überraschend, sie lief vorhersehbar.
Dem mittleren Markt (HML-Definition laut Erhebung) fehlte die Kaufkraft für eine positive Entwicklung, ebenso dem Preismarkt. Das konnte der ausgabenfreudige anspruchsvolle Markt überkompensieren. Kaufzurückhaltung auf Grund von heißem Wetter ist nicht neu, das konnte schon vor Corona beobachtet werden.
Michael Hauf, hachmeister + partner
Überrascht haben mich die auch 2023 sehr schwachen Online-Umsätze mit Mode! Zweistelliges Minus über längere Phasen. Das ist bis Ende dieses Jahres nicht mehr aufzuholen. Offensichtlich wurde in diesem oft preisaffinen Markt deutlich gespart. Die Online-Händler haben das übrigens auch nicht erwartet. Dagegen hat der vorwiegend stationäre Handel die Erwartungen erfüllt oder sogar leicht übertroffen. Trotz der eher verschlechterten Rahmenbedingungen und weiterer Krisenbotschaften war dieser Markt recht stabil. Es gab die erwarteten Zuwächse in den ersten Monaten – nach den schwachen Vorlagen aus 2022 –, mit September einen Katastrophen-Monat und dann hat sich das Geschäft wieder "normal" eingependelt. Insgesamt liegt dieses Segment über 2022. Allerdings nur aufgrund der höheren Preise, und immer noch leicht unter 2019.
Hansjürgen Heinick, IFH
Welche große Bedeutung die stationären Geschäfte weiterhin haben und wie gerne die Menschen in die Läden gegangen sind. Ich hatte schon erwartet, dass Online 2023 wieder schneller wachsen würde. Davon gehe ich auch weiter aus, aber es zeichnet sich ein abgeflachtes Tempo ab.
2. Klimakrise, Inflation, Krieg in der Ukraine, Nahostkonflikt – wie wurde und wird angesichts der Multikrise Mode geshoppt? Welche nachhaltigen Veränderungen sind zu erwarten?
Axel Augustin, BTE
Ein Großteil der Modeeinkäufe wird nach wie vor spontan geshoppt und dient eben auch dazu, sich von den Krisen dieser Welt abzulenken. Und natürlich spielt dann das Einkaufserlebnis (Ambiente, tolle Mitarbeiter, etc.) eine überragende Rolle. Das wird ohne Zweifel im mittleren bis hohen Genre so bleiben. Im preisorientierten Sortiment kommt es dagegen weiterhin auf Kosteneffizienz an, um den Kunden mit schmalen Geldbeutel anzusprechen.
Petra Dillemuth, GfK
Das alles hat auf alle Fälle Einfluss. Zwar gibt es ein Drittel, das so weiter shoppt wie zuvor. Aber es gibt ca. 20%, die sich stark einschränken. Die Mitte dazwischen kauft Mode bewusster, weniger spontan und mehr bedarfsorientiert. Das bewusstere Shoppen - auch aus Nachhaltigkeitsgründen - wird gerade bei den Älteren bleiben.
Ulla Ertelt, HML Modemarketing
Es gibt keine generelle Antwort auf diese Fragen. Veränderungsprognosen können nur für zu differenzierende Teilmärkte getroffen werden. Zum Beispiel: Die Silver Ager reagieren schon immer mit Kaufzurückhaltung in Krisen. Konjunkturverlauf und Ausgabeverhalten zeigen signifikante Zusammenhänge. Die Best Ager in gesicherten Renten und Altersbezügen wollen nach Corona mehr denn je ihr Leben genießen. Dazu gehören Reisen und Modeausgaben: Man will sich im Trend und modern kleiden. Das sind typische Fachhandelskunden*innen, die wenig Online shoppen. Im mittleren Markt und Preismarkt erwarten wir keine Veränderungen im Kaufverhalten: Unsicherheit wird diese Märkte weiter belasten, hohe Preissensibilität bei schwachen Modeimpulsen. Die Trends zu neuer Angezogenheit wird in diesen Märkten kaum zu Zusatzkäufen führen.
Michael Hauf, hachmeister + partner
Die Endverbraucher haben unterschiedlich darauf reagiert. Im Premium-Segment wurde weiter normal gekauft. Auch die Preiserhöhungen wurden zumeist akzeptiert. Schwieriger ist die Marktmitte. Hier gibt es Kaufzurückhaltung, vor allem nach den zuletzt deutlichen Preiserhöhungen für Mode. Es werden definitiv 10% weniger Stückzahlen gekauft. Ich gehe nicht davon aus, dass wir kfr. real wieder wachsen können.
Hansjürgen Heinick, IFH
Die vielen verschiedenen Krisen bringen viele unterschiedliche Herausforderungen für die Konsumierenden mit sich und führen zu einem multihybriden Kaufverhalten. Angesichts der Klimakrise muss nachhaltiger und wertiger, angesichts der Inflation bewusster und zurückhaltender gekauft werden. Gleichzeitig wollen die Menschen sich etwas gönnen und wünschen sich Einkaufserlebnisse. Insgesamt wird schon gespart – auch durch Secondhand und Konsumverzicht – trotzdem hat der Markt im Vergleich zum Vorjahr zugelegt, was natürlich auch mit Preissteigerungen zu tun hat. Das Marktvolumen von 2019 wurde aber noch nicht erreicht.
3. Wie weit ist der Strukturwandel im Modemarkt vorangeschritten? Wer gewinnt, wer verliert?
Axel Augustin, BTE
Der Strukturwandel im Modehandel ist nie abgeschlossen, es wird auch in 10, 20 oder 50 Jahren noch anhalten. Mittelfristig sehe ich wieder höhere Marktanteile im Onlinehandel, da die Zahl der mittelständischen Geschäfte allein aus demographischen Gründen weiter abnimmt. Es gibt einfach in der nachwachsenden Generation zu wenige Menschen, um die Geschäfte der Baby-Boomer weiter zu betreiben. Zudem unternimmt die (europäische) Politik ja bekanntlich trotz gegenteiliger Beteuerungen etliche Anstrengungen, um das mittelständische Unternehmertum weiter mit Bürokratie zu belasten. Dabei braucht Deutschland und Europa jetzt in allen Branchen mutige Existenzgründer!
Petra Dillemuth, GfK
Verlieren wird der klassische Fachhandel, da Läden schließen, weil es keine Nachfolger gibt. Markenanbieter werden hingegen online zulegen. Nicht zuletzt infolge eines Corona-Effekts. Während der Pandemie haben viele gemerkt, dass sie ihre Marken online gut shoppen können. Davon wird der D-to-C-Kanal profitieren.
Ulla Ertelt, HML Modemarketing
Die aktuelle Entwicklung im Modemarkt verlangt verschlankte Strukturen und Flexibilität der Unternehmen. Gerade Unternehmen, die zuvor erfolgreich waren, haben es verpasst sich entsprechend den Herausforderungen vorausschauend auszurichten. Mangelnde Bewegung sind Managementfehler. Entsprechend werden die zeitgemäß aufgestellten Unternehmen die Gewinner sein.
Michael Hauf, hachmeister + partner
Einige Filialisten sind in der Krise. Aus unterschiedlichen Gründen. Aber sie trifft neben hausgemachten Problemen auch die Schwäche der gebremsten Nachfrage. Es ist vor allem im ersten Halbjahr 2024 mit weiteren Insolvenzen oder Restrukturierungen zu rechnen: auf Handels- wie Industrieseite. Online wird sich 2024 stabilisieren. Wer Premium verkaufen kann, wird es leichter haben. Luxus ist (noch) unbetroffen. Beratung wird an Bedeutung zunehmen. Wohl dem, der das leisten kann! Der Anlassbereich hat sich weitestgehend erholt. Krisen lösen eine weitere Selektion aus. Die begonnene Marktbereinigung wird sich fortsetzen.
Hansjürgen Heinick, IFH
Der Online-Anteil wird – gerade wenn sich die vielen Krisen etwas beruhigt haben – weiter zunehmen. Allerdings nicht mit solcher Wucht, dass in zehn Jahren nur noch online gekauft wird und es keinen stationären Handel mehr gibt. Tendenziell hat es aber der Multilabel-Handel schwerer, da sich die vertikalen Tendenzen verstärken. Aber auch das hat Grenzen. Die Menschen wollen eine Auswahl haben. Dazu eignen sich Online-Marktplätze besonders, aber auch stationär wird es neue Konzepte geben. Schwer einschätzbar ist, welchen Anteil künftig neue Anbieter wie Shein haben werden. Sicher haben auch diese Anbieter schon einen Stamm an Shoppenden, aber viele bestellen dort jetzt auch, um es mal auszuprobieren.
4. Wie verschieben sich die Anteile innerhalb der Kundenstruktur? Wo ist die größte Dynamik zu sehen?
Axel Augustin, BTE
Schon seit Jahren geht die Schere bei Einkommen und Vermögen bei den Bundesbürgern auseinander. Hier sehe ich aktuell keine größeren Veränderungen, so dass das hohe Genre stabil bleiben kann. Ansonsten nimmt der Anteil der älteren Kunden an der Bevölkerung weiter zu. Es wird daher immer wichtiger, auch ältere Kundengruppen (buchstäblich) anzuziehen.
Petra Dillemuth, GfK
Wir sehen auf alle Fälle, dass die jüngeren Kundengruppen die Aktiveren sind. Die Gruppe der bis 40-Jährigen war in diesem Jahr häufiger Mode kaufen als vor Corona. Die Älteren agieren weiter verhaltener und da verliert der Markt auch Käufer.
Ulla Ertelt, HML Modemarketing
Die positive Dynamik liegt in den gehobenen Märkten, die negative, wie beschrieben in den Kundengruppen, die verunsichert sind und die wirtschaftliche Entwicklungen direkt im Portemonnaie spüren.
Michael Hauf, hachmeister + partner
Die jüngeren Kunden kaufen weiter überwiegend Fast Fashion. Second Hand trauen wir Wachstum zu. Nachhaltigkeit wird intensiviert werden, auch wenn mehr die CSRD die Aktivitäten treibt als wirkliche Nachhaltigkeitsstrategien. Der beratungsaffine, anspruchsvolle Kunde wird weiter kaufen. Kunden, die mehr auf den Preis schauen, werden sich zurückhalten. Und auch mal auf einen Kauf verzichten.
Hansjürgen Heinick, IFH
Das ist eine schwierige Frage. Die einkommensstarken Haushalte ändern ihr Verhalten kaum, jedoch sind sie bei zunehmenden Angebotslücken etwa in kleineren Städten, Stadtteilen oder Randlagen gezwungen, auf andere Anbieter auszuweichen – im Zweifel ist das dann ein Onlineanbieter. Bei den übrigen gibt es die Tendenz, in preiswertere Einkaufsstätten zu gehen – allerdings auch nicht durchgängig. Insgesamt geht der Trend stärker in Richtung Vertikale und Online, weil dort die Preise besser vergleichbar sind. Die Gruppe der typischen Fachhandelskunden wird demographisch bedingt immer kleiner, darüber braucht man sich nicht streiten. Allein durch diesen Alterungsprozess wird der Online-Anteil weiter steigen. Aber auch die ganz Jungen gehen gerne in Geschäfte. Inwieweit diese Entwicklung nachhaltig ist und ob sich jüngere Generationen künftig die Zeit nehmen, stationär einkaufen zu gehen, wird sich zeigen.
5. Was erwarten Sie für 2024 und was werden die größten Herausforderungen sein?
Axel Augustin, BTE
Es ist zu hoffen, dass die Inflationsraten weiter abnehmen und damit die Kunden wieder kaufkräftiger werden. Für den Modehandel bleiben die Kosten im Fokus, vor allem im Personalbereich. Es ist zu befürchten, dass einerseits gute Mitarbeiter kaum noch zu bekommen bzw. zu bezahlen sind und leistungsschwache Mitarbeiter wegen der steigenden Löhne noch nicht einmal ihr eigenes Gehalt erwirtschaften werden.
Petra Dillemuth, GfK
Der Trend zum Bedarfskauf, der sich 2023 verschärft hat, wird sich fortsetzen. Sicher nicht im Luxusbereich, aber im Massenmarkt wird erst gekauft, wenn etwas gebraucht wird. Nachhaltigkeit wird Thema bleiben, auch wenn es nicht für die Masse der Käufer kaufentscheidend ist, aber es gibt die Erwartungen an die Unternehmen, dass sie da anständig agieren.
Ulla Ertelt, HML Modemarketing
Die neue Angezogenheit und die jetzt immer kommerzielleren, lässig bis weiten Silhouetten (Hosen) werden für weiteres Wachstum im gehobenen(A-) Markt sorgen. Diese Trends entwerten den bestehenden 'Kleiderschrank' der Kundinnen und sorgen für Look-Shopping. Der Grad der Verunsicherung und damit verbunden die finanziellen Herausforderungen belasten weiter die B- und C-Märkte (mittlerer Markt und Preismarkt). Wir erwarten keine Belebung dieser Märkte. In der HAKA bleibt es verhalten bis rückläufig. Der festliche Anzug wird auch im Frühjahr 2024 nachgefragt werden und somit den Umsatz in diesen Abteilungen 'retten'.
Michael Hauf, hachmeister + partner
Es ist damit zu rechnen, dass wir im Frühjahr oder ersten HJ 24 weitere Krisenfälle erleben. Das tut der Branche nicht gut! Der Modemarkt ist gleich mehrfach von Herausforderungen gezeichnet: Nachfrageschwäche, Kostensteigerungen, Beschaffungsrisiken, mehr Leerstände in den Städten und Centern, und alles in einem weiter volatilen wirtschaftlichen und politischen Umfeld.Wer überleben oder sogar wachsen will, muss sich sehr anstrengen! Manche Strategie, manches Geschäftsmodell funktioniert so nicht mehr. Handel & Industrie müssen partnerschaftlicher zusammenspielen als bisher.
Hansjürgen Heinick, IFH
Der Modekonsum korreliert natürlich mit der Konjunktur. Wenn die Budgets knapper werden, schauen die Konsumierenden bei Mode mehr auf den Preis, verzichten vielleicht sogar ganz oder kaufen Secondhand. Allerdings sehen wir in unseren Umfragen auch, dass viele angeben bei Mode zu sparen, aber das dann oft in der Realität doch anders aussieht. Von daher sehe ich für 2024 nicht ganz so Schwarz. Der Aufholprozess gegenüber 2019 ist jetzt weitgehend abgeschlossen, von daher gehe ich 2024 von einem (nominalen) Wachstum gegenüber 2023 aus. Inwieweit die jetzige Haushaltskrise und das Auslaufen der Energiepreisbremse Einfluss darauf haben wird, lässt sich schwer abschätzen. Vielleicht wird dann eher die Wärmepumpe nicht angeschafft, aber für die Modeausgaben wird es einigermaßen glimpflich ablaufen. Die Herausforderungen bestehen vor allem für die Anbieter: Sie müssen sich auf die multihybride Kundinnen und Kunden einstellen. Das zu berücksichtigen, und dabei nicht das eigene Profil zu verlieren, ist Herausforderung genug.
TextilWirtschaft, Aziza Freutel (Donnerstag, 07. Dezember 2023): "Fünf Experten, fünf Fragen − so steht es um den Modemarkt"
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