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Mit dabei beim achten Zahlengipfel: Gerhard Albrecht, Unitex, Hansjürgen Heinick, IFH, Martin Groß-Albenhausen, bevh, Marc Unterbrink, hachmeister + partner, Peter Frank, BBE, Axel Augustin, BTE, Petra Dillemuth.
Veröffentlicht am 21.11.2023
Wo steht der deutsche Modemarkt? Der achte Zahlengipfel der TextilWirtschaft analysiert die diffuse Marktlage. TW-Redakteurin Aziza Freutel hat die essenziellen Thesen zusammengefasst.
Wenn der deutsche Modemarkt eine Aktie wäre, würden Sie Investoren einen Einstieg empfehlen?" Mit dieser Frage startete der Zahlengipfel der TextilWirtschaft in Frankfurt. Zum achten Mal waren Modemarktexpertinnen und -experten eingeladen, über den Status Quo und die Zukunft des deutschen Modemarktes zu diskutieren.
Gerade beim Ausblick auf die künftige Entwicklung wird die Frage nach einem möglichen Investment interessant, denn es gilt: Wer die Entwicklung einer Aktie als unsicher und rückläufig einschätzt, tendiert eher zum Verkaufen.
Wenn der deutsche Modemarkt eine Aktie wäre, würden Sie Investoren einen Einstieg empfehlen? Mit dieser Frage startete der achte Zahlengipfel der TextilWirtschaft.
Gerhard Albrecht sieht das in Bezug auf den Modemarkt ganz anders. Er ist einer der wenigen in der Gruppe, der sich bei der Eingangsfrage spontan sehr klar positioniert, und zwar bei Kaufen.
"Vor dem Hintergrund, dass die letzten drei Jahre alles andere als normal, alles andere als der Mentalität der Deutschen entsprechend waren und es deutlich besser gelaufen ist, als man hätte vermuten können, bin ich positiv gestimmt", sagt der Geschäftsführer der Verbundgruppe Unitex.
"Das heißt, es gibt viele dynamische Menschen, Unternehmerinnen, Unternehmer, die eine ganze Menge gewuppt haben in dieser Zeit. Die werden auch die zukünftigen Herausforderungen ganz gut bewerkstelligen, hoffe ich zumindest."
Außerdem sei relativ viel Geld in den vergangenen Jahren in größere Investitionen wie neue Küchen, Möbel oder E-Bikes geflossen. "Ich kann mir schon vorstellen, dass jetzt Mode an Bedeutung gewinnt. Gerade in wirtschaftlich etwas schlechteren Zeiten ist das eine kleine Kompensation im alltäglichen Bereich."
Diese positiven Aussichten teilt Martin Groß-Albenhausen nicht. Er würde die fiktive Modemarkt-Aktie eher verkaufen. "Man sollte nicht in ein fallendes Messer greifen", begründet der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des bevh seine Positionierung.
"Wir haben es noch nicht hinter uns, der Großteil der Konsolidierung steht noch aus." An vielen verschiedenen Stellen seien Transformationsprozesse im Gange. "Nehmen Sie das Thema Nachhaltigkeit. Es wird nicht so sein, dass die Branche jetzt einfach nachhaltig wird, und dann kaufen die Leute nachhaltige Mode, und alles ist toll. Auf die Unternehmen kommt eine große Menge an Regularien und Papieren aus der EU zu, das wird eine große Aufgabe, die gerade die kleinen Händler fordern und überfordern wird."
Ein eindeutiges Meinungsbild ergibt sich bei der Abfrage nicht. Der Großteil der sieben Experten positioniert sich im Feld Halten, mal eher Richtung Verkauf, mal eher Richtung Kauf. "Die Menschen kaufen nach wie vor Mode und werden das auch in Zukunft tun. Und diese Ausgaben werden nicht alle bei Shein und Temu landen", sagt Hansjürgen Heinick.
Er beobachtet beim Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln schon lange die Entwicklung des Bekleidungsmarktes. Für das laufende Jahr rechnet er mit einem positiven Jahresabschluss im Vergleich zum Vorjahr: "Das Marktvolumen wird wieder das Niveau von 2019 erreichen. Und auch künftig wird es Gewinner im Modemarkt geben."
Die Stabilität des Marktes stimme ihn positiv, Veränderungsprozesse wie Nachhaltigkeit würden die Branche zudem vorantreiben. "Es werden neue Anbieter kommen, mit tollen Konzepten und manche, die schon da sind, werden ihre Konzepte noch verbessern", ist Heinick sicher.
Ähnlich begründet Marc Unterbrink seine Tendenz zum Kaufen: "Immer wenn Unternehmen vom Markt verschwinden, gibt es dadurch neue Chancen für andere. Vielleicht lässt sich da nicht zu 100% 'reinstechen', aber vielleicht dann zu 75%", sagt der Partner von hachmeister+partner.
Er ist bei der Bielefelder Unternehmensberatung unter anderem für das Handels-Panel zuständig. Auch wenn 2023 in vielerlei Hinsicht ein schwieriges Jahr gewesen sei, stimmten ihn viele Entwicklungen positiv: "Bei vielen Händlern steigt die Erkenntnis, dass Wertschöpfung möglich ist, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind."
Dazu gehöre der Fokus auf Vollpreis-Verkäufe, geringere Abschriften und eine zunehmende Kundenorientierung. Zudem eröffneten sich neue Möglichkeiten der Prozessoptimierung. "Durch bestimmte Tools wie KI, aber auch durch bessere Kooperation mit den Herstellern, wird es möglich, Prozesse zu optimieren. Von daher glaube ich an eine positive Entwicklung."
Das ist eine Meinung, die Peter Frank von der BBE Handelsberatung teilt– zumindest bis zu einem gewissen Grade: "Das Produkt Mode wird nicht sterben. Allerdings wird die richtige Positionierung entscheidend sein", sagt Frank.
Nicht zuletzt, weil der Online-Anteil im Modemarkt weiter steigen werde, auch wenn Fragen wie die nach der Rentabilität der Online-Umsätze und der damit verbundenen Zukunftsfähigkeit der Marktteilnehmer schwer zu beantworten seien.
"Wo liegt die Rentabilität der Online-Umsätze? Bei den Plattformen? Bei den Pure-Playern, die zum Teil grauenvolle Zahlen schreiben, aber genügend Investoren finden, um weiter am Markt bestehen und Marktanteile gewinnen zu können?" Wo da die Reise hingehen wird, lasse sich nicht so recht einschätzen, gibt Frank zu Bedenken.
"Für die nähere Zukunft ist das wichtigste Thema für alle, wirtschaftlich einigermaßen durchzukommen. Über höhere Eingangskalkulationen, über intelligentere Preisstellungen, über geringere Preisreduzierung – das hängt vom Konzept ab."
Allerdings gebe es sehr viele Marktteilnehmer, die sich mit diesen Themen gar nicht beschäftigen wollten oder könnten. Und die immer weiter machten wie bisher. "Und darum positioniere ich mich in der Mitte bei Halten. Ich sehe Licht und Schatten, ich sehe Chancen, aber durchaus auch Problemstellungen, für die die Lösung schwierig sein wird."
Die Spaltung des Marktes hat Axel Augustin vom BTE dazu gebracht, sich in der Mitte von Halten zu positionieren: "Es gibt viele tolle Geschäfte, die sich genau in die richtige Richtung entwickeln. Die Richtung Kunden, Richtung Entertainment denken, die den Modekauf als Freizeitvergnügen sehen, bei dem es nicht um Bedarfsdeckung geht."
Dieser Teil des Marktes habe fast nichts mit dem Bedarfsmarkt zu tun. "Das eine ist wie gesagt Freizeitgestaltung, beim anderen geht es darum, dass ich eine neue Hose kaufen muss, weil eine meiner zwei Hosen kaputtgegangen ist."
Gerade im ersten Markt gebe es aber auch viele gute Entwicklungen: "Der Mensch will sich immer schön machen. Und es gibt weiter viele Leute, die viel Geld haben und sich etwas leisten wollen und können."
Genau zu wissen, wozu die eigene Zielgruppe gehört, ist für Petra Dillemuth vom Konsumforschungsunternehmen GfK der Schlüssel für das Bestehen im Markt. "Mich stimmt positiv, wenn ich sehe, dass sich Händler mit ihrer Zielgruppe befassen und dadurch erfolgreich sind. Entscheidend ist es, glaube ich, Menschen Inspirationen zu geben, ihr Interesse zu wecken."
Zunächst gehe es ja darum, die Leute in die Läden zu holen, auch wenn sie dann vielleicht nur das Basic-Teil kauften. Wie gut das funktionieren könne, habe ihr der Barbie-Film gezeigt. "Wir sehen in unseren Zahlen, dass seitdem mehr Pink und Rosa in der Modebranche verkauft wird."
Mit Blick auf den Modemarkt stehe dem allerdings auch die lange Liste der Insolvenzen in diesem Jahr gegenüber. "Es gibt schon viele Formate, die wirklich nicht zum Halten einer Modemarkt-Aktie ermuntern würden", sagt Dillemuth. "Aber andererseits, da schlagen mir echt zwei Herzen in meiner Brust, gibt es natürlich auch gute Beispiele, die es gut machen, wo es gut läuft. Und das stimmt mich dann letztendlich wieder eher positiv."
Das Bild des deutschen Modemarktes, das die Teilnehmenden des Zahlengipfels an diesem Morgen Anfang November in Frankfurt zeichnen, ist und bleibt diffus. Nicht zuletzt, weil die Entwicklungen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene so extrem und unvorhersehbar sind.
Ganz aktueller Beleg dafür: Das Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, das zufälligerweise am Tag des Zahlengipfels veröffentlicht wurde. "Die konjunkturelle Erholung in Deutschland verzögert sich", lautete die Kernbotschaft der fünf Wirtschaftsweisen. Waren sie im Frühjahr noch von einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 0,2% in diesem Jahr ausgegangen, rechnen sie jetzt mit einem Schrumpfen um 0,4% im Vergleich zum Vorjahr. Für 2024 erwarten sie nur noch ein Wachstum von 0,7% (Frühjahrsprognose: 1,3%).
Ein Grund: rückläufige Konsumausgaben. Realeinkommensverluste aufgrund der hohen Inflation hätten den Konsum geschwächt. Im Vergleich zum Vorjahr prognostizieren die Wirtschaftsweisen einen – preisbereinigten – Rückgang der privaten Konsumausgaben um 0,8%. Gleichzeitig sei die Sparquote gestiegen – alleine vom ersten zum zweiten Quartal um 1,2 Prozentpunkte auf 11,9%. Dies lasse trotz der Einkommenszuwächse auf ein zurückhaltendes Ausgabeverhalten schließen.
Das zeigen auch die neuesten Konsumstimmungsmessungen. GfK-Konsumklima und HDE-Konsumbarometer sind zuletzt abgerutscht. Obwohl es keine eindeutige parallele Entwicklung zwischen schwacher Konsumstimmung und Modenachfrage gibt, so oder so ist klar, die Verbraucherinnen und Verbraucher verteilen ihre durch die hohe Inflation belasteten Budgets neu.
Welche Folgen hat das für den Modemarkt? Nur eine von drei Fragen, mit denen sich der Zahlengipfel tiefergehend beschäftigte. Im Vorfeld der Veranstaltung stellte die TW-Redaktion die zehn Fragen zusammen, die den Modemarkt aktuell am stärksten beschäftigen.
Um den Zahlengipfel thematisch nicht zu überfrachten, wurden die Teilnehmenden gebeten, im Vorfeld die drei Fragen auszuwählen, die ihrer Meinung nach aktuell am meisten drängen. Die drei Fragen mit den meisten Nennungen standen dann im Fokus der knapp dreistündigen Diskussion.
Die eindeutig drängendste Frage: Wie kaufen Konsumentinnen und Konsumenten Mode und wie nachhaltig sind die Verhaltensveränderungen, die durch die Corona-Pandemie und dann durch die hohen Preissteigerungen vor allem für Energie und Lebensmittel ausgelöst wurden?
Die Zahlen der unterschiedlichen Panels, die die Zahlengipfel-Teilnehmer zu Beginn der Veranstaltung vorstellten und diskutierten, zeichnen eigentlich ein recht positives Bild des Modemarktes. Aufgelaufen per Ende Oktober liegt etwa der TW-Testclub, das teilnehmerstärkste Panel im stationären Modehandel, bei einem Plus von 9% im Vergleich zum Vorjahr.
Ebenfalls eine positive Entwicklung weist der Händlerkreis von h + p auf. „Der Oktober hat die Entwicklung wieder stabilisiert. Das Wetter war für die Händler ein bisschen erfreulicher als im September“, sagt Marc Unterbrink. Insbesondere Jacken-und Mäntelkäufe hätten verstärkt stattgefunden. Der Einfluss des Wetters sei gerade in diesem Herbst auffällig gewesen. „Aufgelaufen liegt unser Händlerkreis 5%, 6% über dem Vorjahreszeitraum. Die Prognose aufs Jahresende ist so plus 3% bis plus 4%. Irgendwo dazwischen wird sich unser Panel einpendeln.“
Ähnliche Werte zeigt die Einzelhandelsumsatzerhebung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) für den Einzelhandel mit Bekleidung und Schuhen auf. Per Ende September 2023 liegen die Umsätze zwischen Januar und September 2023 plus 3,2% über dem Vorjahreszeitraum. Während diese Erhebungen unternehmensseitig erfolgen, fragt das GfK Consumer Panel Fashion die privaten Haushalte, was sie wo zu welchem Preis gekauft haben. Auch hier liegen die Zahlen für den Oktober noch nicht vor. "Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sehen wir bei uns im Panel auch", sagt Petra Dillemuth von GfK. Die Haushalte haben demnach zwischen Januar und September 2023 rund 3% mehr für Mode ausgegeben – und das, obwohl in fünf von neun Monaten die Zahl der Modeshoppingtrips niedriger war als im Jahr zuvor. Die Menschen also selten Mode gekauft haben – stationär und online. Eine Entwicklung, die an vielen Stellen im Markt sichtbar wird. Die Kauffrequenz, aber auch die Kaufmenge sinkt.
"Unsere Kundenbefragungen zeigen, dass die Warenkörbe kleiner geworden sind. Dazu kommt, dass insgesamt die Zahl der Menschen, die angeben, dass sie in den letzten sieben Tagen online gekauft haben, zurückgegangen ist und von diesen dann wiederum auch weniger Mode online gekauft haben", sagt Martin Groß-Albenhausen vom bevh. Aus diesen zwei parallelen Entwicklungen ergebe sich insgesamt ein deutlicher Rückgang der Modeausgaben im Internet. So meldete der bevh Anfang Oktober ein Minus von 17,5% bei den Online-Modeausgaben im 3. Quartal 2023.
Damit setzte sich die Negativentwicklung der ersten zwei Quartale weiter fort. Zum einen lasse sich das mit dem generellen Rückgang beim Online-Shopping erklären, zum anderen hätten die Konsumenten ihr Kaufverhalten verändert. "Es fehlen die Mitnahme-Käufe", sagt Groß-Albenhausen. "Das ist einfach weg bei den Menschen."
Insgesamt – da sind sich die Zahlengipfel-Teilnehmenden einig – ist die Bewertung des Modekonsums 2023 angesichts von Vorlageneffekten immer noch schwierig. "Anfang 2022 hatten wir noch Corona-Einschränkungen. Teilweise musste man noch Maske tragen, insgesamt waren weniger Menschen in den Läden unterwegs, es gab keine Veranstaltungen. 2022 war noch kein normales Jahr", sagt Axel Augustin vom BTE.
Auch 2023 bliebe noch hinter dem Vor-Corona-Jahr 2019 zurück. "Wir haben Mitte September Vergleichsrechnungen zu 2019 aufgestellt und kamen auf ein Minus von 4,7%. Der Markt ist also noch weit weg von der Normalität, und das sind ja die nominalen Zahlen, nicht die realen." Der Geschäftsführer des Handelsverbandes spricht damit den Faktor an, der neben Corona die Kauflaune in den vergangenen anderthalb Jahren mit am nachhaltigsten geprägt hat: Die hohe Inflation – für 2023 prognostizieren die Wirtschaftsweisen eine Inflation von 6,1% – hat zu massiven Verschiebungen im Konsum geführt.
Zwar blieben die Preissteigerungen für Mode im Durchschnitt hinter der allgemeinen Teuerungsrate zurück, doch es gab auch im Modebereich manche Produktgruppen, die sich stark verteuerten.
Das spiegelt sich in der Entwicklung der Stückzahlen wieder. „Umsatztechnisch sehen wir ein Plus, doch stückbasiert ein Minus von fast 20% im Vergleich zum Vorjahr“, sagt Marc Unterbrink von h + p.
Höhere Durchschnittspreise sowie Sortimentsverschiebungen hin zu höherpreisigen Segmenten führten letztlich zum Umsatzplus. "Der Konsument hat sein Budget im Blick und gibt dann letztlich in manchen Segmenten halt ein bisschen weniger aus als vorher", beschreibt Hansjürgen Heinick vom IFH die Entwicklung.
Tendenziell sinke der Anteil von Bekleidung und Accessoires an den privaten Konsumausgaben weiter. "Dieses Jahr sehen wir da keinen dramatischen Einbruch, sondern eine Fortsetzung der Tendenz, die seit 20 Jahren besteht. 2022 hat es mal durch einen gewissen Corona-Effekt einen leichten Anstieg gegeben, aber letztlich landen wir wieder auf der Trendkurve, das der Ausgabenteil für Mode langsam abnimmt."
Daran ändern wird sich wohl erst einmal nichts, auch wenn sich die fünf Wirtschaftsweisen fürs kommende Jahr optimistischer zeigen. In ihrem Gutachten heißt es: Im Jahr 2024 dürften die weiter steigenden Arbeitseinkommen und höheren monetären Sozialleistungen den privaten Konsum verhalten anschieben.
Die Folie mit der Überschrift "Marktvolumen Fashion&Accessoires", die Hansjürgen Heinick vom IFH mit zum Zahlengipfel gebracht hat, könnte einen auf die falsche Fährte führen: Die dort aufgeführten Balken geben die Entwicklung des Marktvolumens seit 2016 wieder und weisen dabei – bis auf die Corona-Ausnahmejahre 2020 und 2021 mit Einbrüchen von zum Teil mehr als 10% – eine recht stabile Entwicklung auf. Bis 2019 war der Markt in einer Seitwärtsbewegung, das jährliche Marktvolumen pendelte zwischen 56 (2016) und 57 Mrd. Euro (2019). Ein Niveau, das der Bekleidungsmarkt laut Heinick in diesem Jahr wohl wieder knapp erreichen wird. Noch ist der Balken für 2023 grau hinterlegt.
Doch während das Balkendiagramm eine recht stabile, wenn auch nicht wachstumsstarke Entwicklung vermuten lässt, sind die Verschiebungen auf dem deutschen Modemarkt gerade 2023 so drastisch wie noch nie. Unübersehbarer Beleg dafür ist die fast täglich länger werdende Liste der Modeunternehmen, die in diesem Jahr Insolvenz angemeldet haben.
Mit unter anderem P&C Düsseldorf, Klingel, Galeria, Bleed Clothing, Modehaus Rübsamen sind dabei Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Geschäftsmodellen und aus verschiedenen Genres aufgeführt. "Der Konsolidierungsprozess wird sich weiter fortsetzen", sagt Unitex-Geschäftsführer Gerhard Albrecht mit Blick auf diese anhaltende Entwicklung. "Es ist unübersehbar, dass es immer mehr Unternehmen gibt, die eben nicht mehr weiter existieren können. Gerade gab es die Nachrichten zu Madeleine, Hallhuber oder auch Klingel. Selbst wenn es da in Teilbereichen weitergeht, gibt es eine ganze Reihe an Unternehmen, die abgewickelt werden. Die dann nicht mehr da sind und auch originär keinen Umsatz mehr machen." Das Verschwinden dieser Anbieter eröffne allerdings anderen Unternehmen Chancen.
Wer die Gewinner, wer die Verlierer in dieser Marktsituation sind, ist nicht leicht auszumachen. Einfache Schlussfolgerungen, wie sie auch gerade während Corona oft zu hören waren à la "online gewinnt, stationär verliert", gelten nicht mehr. "Es gibt nicht den einen Unternehmens-Typus, der jetzt überproportional betroffen ist", sagt Marc Unterbrink von hachmeister+partner. Vielmehr verlaufe die Grenze zwischen denjenigen, die in der Vergangenheit ihre Hausaufgaben gemacht haben und denjenigen, die das nicht getan haben. Dazu gehöre – egal ob großes oder kleines Unternehmen – die Investition in Kundennähe und Aufenthaltsqualität. "Beim Stichwort Kundenbeziehung trennt sich die Spreu vom Weizen."
Eine Entwicklung, die Martin Groß-Albenhausen vom bevh im Online-Modehandel beobachtet. "Es gibt so viele undifferenzierte Anbieter, die zum Teil mit schlechten Produktdaten arbeiten und – das muss man leider so sagen – eigentlich keine Existenzberechtigung mehr haben." Viele seien früher einfach online gegangen, nach dem Motto: "Dieser Kanal wächst schon." Aber: "Dieses generische Wachstum reicht einfach nicht mehr", so der Experte.
Bei der Ursachenforschung für die Entwicklung im Markt sind sich die Modemarktexperten einig. Die hohe Inflation habe einerseits die Konsumenten und damit die Einnahmenseite belastet, andererseits gerieten die Unternehmen kostenseitig unter Druck. "Bei der relativ konstanten Entwicklung auf der warenwirtschaftlichen Seite haben sich leider die Kostenpositionen nicht analog dazu verändert, sondern sind eben überproportional gestiegen", sagt Gerhard Albrecht von der Unitex. Das gelte für alle Kostenbereiche, besonders aber für den Personalbereich, der sich durch den Fachkräftemangel zunehmend verschärfe. "Wenn Sie sich die Unternehmen anschauen, die in letzter Zeit durch die Gazetten gegangen sind, dann waren es im Wesentlichen schon Unternehmen mit einem relativ hohen Verschuldungsgrad. Die haben grundsätzlich ein Problem mit der Refinanzierung und selbst wenn sie diese bekommen, schlagen die neuen Konditionen dann ganz schön ins Kontor."
Dass die Zahl der Einzelhandelsstandorte sinkt, ist nichts Neues. Gerade erst veröffentlichte der Handelsverband Deutschland die neuesten Schätzungen für 2023. Demnach sollen in diesem Jahr alleine 9000 Einzelhandelsstandorte verschwunden sein. "Der seit Jahren zu beobachtenden Trend, dass wir leider weniger mittelständische Modegeschäfte haben, setzt sich weiter fort", sagt Axel Augustin vom BTE. Das habe vor allem demografische Gründe. "Immer wieder verschwinden tolle Geschäfte aus allen Bereichen vom Markt, weil sie keine Nachfolge haben. Das ist das größte Risiko. Und da ist keine Lösung in Sicht. Wir als Verband versuchen immer irgendwie zu vermitteln, aber das ist ein echt dickes Brett."
Ähnliche Erfahrungen macht Peter Frank. Habe er früher noch regelmäßige Anfragen zu einer möglichen Geschäftsnachfolge bekommen, sei es mittlerweile bei dem Thema sehr ruhig geworden. "Die Standortproblematik ist gerade für kleinere Städte groß. Da finden sich jetzt oft die Bestatter in den Top-Einzelhandelslagen, also da, wo früher noch das Bekleidungsgeschäft war", sagt der Unternehmensberater der BBE.
Der Strukturwandel und damit die Neugewichtung der verschiedenen Akteure wird nicht nur durch die weitere Etablierung neuer Absatzkanäle vorangetrieben. Neue Anbieter und ein verändertes Konsumverhalten beeinflussen die Marktstruktur nachhaltig. Beispiel: Secondhand. "In dem betrachteten Marktvolumen von knapp 60 Mrd. Euro sind die Ausgaben für Secondhand nicht erfasst. Dabei haben wir jetzt in einer Studie ermittelt, dass die Ausgaben für Secondhand-Bekleidung und -Accessoires sich mittlerweile auf mehr als 5 Mrd. Euro belaufen", sagt Hansjürgen Heinick. "Damit haben sich die Ausgaben in diesem Bereich in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt." Den Nachfrageanstieg in diesem Segment nur auf die gestiegenen Preise und die knapperen Konsumbudgets zurückzuführen, sei allerdings zu kurz gefasst. "Hier spielt ganz klar auch das Thema Nachhaltigkeit rein“, sagt GfK-Konsumforscherin Petra Dillemuth. "Das ist für viele die Motivation, Secondhand zu kaufen. Dabei geht es nicht ums Sparen, sondern darum, Ware wieder in den Kreislauf zurückzubringen."
Gleichzeitig gewinnt ein anderes Extrem Konsumenten und damit Marktanteile. "Wenn ich mir die Ergebnisse unserer Verbraucherbefragung nach Alterskohorten anschaue, muss ich sagen, dass die Generation Greta ein Hirngespinst von uns allen ist", sagt Martin Groß-Albenhausen. Die Jüngeren kauften zwar auch günstig Secondhand-Mode bei Vinted, gleichzeitig steige ihre Nachfrage bei Anbietern wie Shein und Temu massiv an. "Zudem werden online sehr gerne Dupes, Fake-Artikel von Markenherstellern, gekauft. Das ist natürlich der letzte Mist, der da kommt, mit Gift belastet noch und nöcher. Aber, wenn ich mir ansehe, wie die Zahl derjenigen, die dort bestellen, Quartal für Quartal nach oben schießt, frage ich mich schon, wo sich der Markt eigentlich hin entwickelt? Das Ende der Fahnenstange haben wir noch nicht erreicht." Fortsetzung folgt, scheint das Fazit der Runde in Bezug auf die Veränderung der Marktstruktur zu lauten. "Also ich würde mir schwertun, jetzt eine Prognose für in fünf Jahren abzugeben oder auch schon fürs nächste Jahr", sagt Martin Groß-Albenhausen. "2024 wird, glaube ich, auch noch ganz schön schwierig für unsere Branche".
Man muss allerdings die verschiedenen Segmente betrachten, gibt Petra Dillemuth zu bedenken. "Die jeweiligen Alterskohorten ticken ganz unterschiedlich. Am Anfang bei Corona war es etwa so, dass die Jüngeren einfach weiter gekauft haben, während die Älteren ihren Konsum größtenteils eingestellt haben." Neben dem Alter sei das Einkommen entscheidend. "Die Ausgaben für Mode werden trotzdem weiter zunehmen, weil Mode immer gekauft wird. Und insofern ist das immer noch ein Markt für Investoren und für Leute, die Geld verdienen wollen. Aber eben nicht für alle Konzepte und nicht für alle Teilnehmer", sagt Hansjürgen Heinick. Die Zeichen wiesen nach der Delle dieses und des vorherigen Jahres wieder in Richtung Online-Wachstum. "Wir sehen tatsächlich in der letzten Zeit eine Stabilisierung, wenn nicht sogar eine leichte Zunahme der Online-Ausgaben. Auch sind die Menschen online wieder mehr unterwegs, wobei das genauso für den stationären Handel gilt. Es gibt halt Gute und Schlechte. Überleben werden nicht alle."
Bei einem Zahlengipfel, der auch noch in den November fällt, darf das Thema Preis natürlich nicht fehlen: Mit Singles Day, Black Friday und Cyber Monday hat sich der Monat längst zu einem der rabatt- und umsatzstärksten für den Modemarkt entwickelt. So erwartet der HDE für dieses Jahr einen Anstieg der Einzelhandelsumsätze über alle Branchen um 3% auf 5,8 Mrd. Euro. Ein Teil davon wird auch in den Modehandel fließen.
Für Petra Dillemuth ist das keine Überraschung. "Das ist auch eine krisenbedingte Entwicklung. Wir fragen in unseren Verbraucherbefragungen immer: 'Auf was achten Sie beim Modekauf eher – Qualität oder Preis?' In den letzten Jahren haben immer mehr Leute gesagt, dass ihnen die Qualität wichtiger ist als der Preis. Das hat sich jetzt wieder ein bisschen gedreht, was sicher der Inflation und den knapperen Budgets geschuldet ist. "Laut GfK Consumer Panel Fashion werden knapp 40% der Modeartikel mit Preisnachlässen gekauft. Ein seit einiger Zeit stabiler Prozentsatz.
Der hohe Anteil stellt den Bekleidungsmarkt aber durchaus vor Herausforderungen. Preisnachlässe minimieren die Marge der Modeanbieter, auf die sie gerade in Zeiten mit wachsendem Kostendruck besonders angewiesen sind. Und was – wie etwa im September vielerorts gesehen – zu starken Preisnachlässen führen kann.
Ein Teufelskreis. Angesichts des sehr sommerlichen Wetters verlief der Saisonstart in den Herbst für die Branche alles andere als zufriedenstellend. Die Umsätze rutschten ab.
Eine wetterbedingte Ausnahmesituation oder Auftakt für einen langfristigen Trend? "Ich glaube schon, dass wir weiter zum Vollpreis verkaufen werden. Aber ich glaube auch, dass das Intervall, in dem zum Vollpreis verkauft werden kann, kürzer wird", sagt Peter Frank von der BBE mit Blick auf den viel zu warmen Herbstauftakt. Neben dem Wetter spielten die permanenten Aktionen, die vor allem durch das Internet stetig sichtbar seien, hier rein.
Zudem nutzten viele Marktakteure die Preisgestaltung zunehmend strategisch. "Es gibt seit vielen Jahren erfolgreiche Unternehmen, die zu Beginn der Saison einen Einkaufsgutschein herausschicken in Höhe von beispielsweise 20 Euro. Dabei geht es dann darum, die Kundin oder den Kunden zum ersten Kauf in der Saison zu bewegen.
Wenn dann jemand für 500 Euro einkauft, sind die 20 Euro ein verhältnismäßig geringer Preis dafür, dass der Umsatz beim eigenen Unternehmen und nicht beim Händler nebenan zwei Wochen später gemacht wurde."
An vielen Stellen im Gespräch wird deutlich, wie strategisch mit dem Thema Preis in der Modebranche mittlerweile umgegangen wird und wie wichtig dabei wiederum die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Kundengruppen und Saisonzeitpunkten ist.
"Wir unterscheiden drei Gruppen an Kunden. Den Vollpreiskunden, der schon immer zum Vollpreis gekauft hat, den betreffen die Preissteigerungen kaum und der ändert deswegen auch sein Konsumverhalten nicht. Es sei denn, er wandert aus ideellen Gründen zu Secondhand ab oder verzichtet mal auf eine neue Designer-Tasche", sagt Marc Unterbrink von hachmeister+partner.
Genau diese Kundengruppe stehe allerdings für mehr als die Hälfte der Umsätze im h + p-Händlerkreis. "Mit 18% der Kundinnen und Kunden werden rund 60% der Umsätze erzielt. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, in der Saison diese 18% zu aktivieren."
Generell gebe es in den vergangenen Jahren einen Trend zu geringeren Abschriften – aufgelaufen per Ende Oktober lägen sie im h + p-Kreis bei 13,1% und damit etwa 1,8 Prozentpunkte niedriger als im Vergleichszeitraum 2019.
Der Handel habe viel nachjustiert. "Marketingaktionen dürfen aber nicht nach dem Gießkannenprinzip laufen. Die A-Kundin sollte etwa schon zum Saisonbeginn angesprochen werden, um die Ware zum Vollpreis verkaufen zu können."
Zumal es für die Verbraucherinnen und Verbraucher immer leichter wird, Preise zu vergleichen. "Mit der hohen Preistransparenz haben vor allem größere Multilabel-Händlern mit einem mittelpreisigen Sortiment Schwierigkeiten, da ihr Sortiment oft auch online zu finden ist", sagt Hansjürgen Heinick vom IFH.
Die Anbieter müssten es schaffen, sich aus dieser Transparenz lösen, etwa durch alternative Marken und ein umfassendes Service-Angebot.
Das richtige Austarieren der Preissetzung sieht auch Martin Groß-Albenhausen vom bevh als entscheidend an. "Das macht den Unterschied zwischen den Anbietern, ob sie sich mit Rabatten in den Ruin wirtschaften oder damit erfolgreich sind.
Einem Neukunden etwa, zu dem man noch Vertrauen aufbauen muss, schickt man nicht gleich einen Gutschein. Den bekommt dann eher der Kunde, der schon länger dabei, aber inaktiv ist." In diesem Bereiche müssten viele Unternehmen noch – auch technologische – Kompetenzen aufbauen.
Das sieht Marc Unterbrink ähnlich, wobei er noch früher ansetzt. Es müsse darum gehen, nicht in die Zwickmühle des Warenüberschusses zu kommen, wenn reduziert werden muss, weil die neue Ware schon vor der Tür steht. "Es ergibt Sinn, in Tools zu investieren, die befähigen, bedarfsgerecht einzusteuern. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass der Zeitraum der Schwarzpreisverkäufe aufgrund der unvorhersehbaren Wetter- und Krisensituationen etwas reduziert wird in Zukunft", sagt Unterbrink und ergänzt dann noch: "Und aufgrund von Liquiditätsfragen sicherlich auch. Anders kann ich mir manche Rabattaktionen im September nicht erklären."
Auch Axel Augustin sieht in der richtigen Mengenplanung einen Weg, um Reduzierungen zu minimieren. "Das Thema hat doch auch etwas mit dem Einkauf zu tun. Wenn ich natürlich als Händler gezwungen bin, mehr einzukaufen als ich brauche, weil Mindesteinkaufsmengen bestehen, dann muss ich vielleicht auch mal früher in die Reduzierungstrommel greifen. Die Lieferanten haben so auch Einfluss auf die Situation. Wenn es möglich ist, zu sagen, ich nehme nur die Menge, die ich wirklich verkaufen kann, dann müsste ich vielleicht auch nicht mehr so viel reduzieren."
An dieser Stelle widerspricht Gerhard Albrecht. "Ich glaube, der Peak ist überschritten. Die Vorgaben haben sich in den meisten Fällen den Realitäten angepasst." Der Unitex-Geschäftsführer betont beim Vollpreisverkauf das Thema Warensteuerung. "Ich glaube, man muss hier stark differenzieren und überlegen, wie schauen denn die Saisons aus?"
Die Wareneinsteuerung laufe weiterhin grundlegend falsch. "Bei der Herbst/Winter-Saison ist das durchaus kritischer als in der Frühjahr/Sommer-Saison. Da kommt viel neue, wertmäßig teure Ware rein und gleichzeitig fangen die ersten Preisaktionen an, um einem Black Friday, Cyber Monday oder was auch immer etwas vorwegzunehmen."
Da überrasche es nicht, dass die erzielten Spannen durchweg bei den Unitex-Händlern im Frühjahr/Sommer deutlich höher als in der Herbst/Winter-Saison sind. "Das T-Shirt lässt sich im August immer noch zum Vollpreis verkaufen, die Winterjacke im März aber definitiv nicht mehr."
TextilWirtschaft, Aziza Freutel (Freitag, 17. November 2023):
"Baisse und Barbie"
"Wie dauerhaft sind die Veränderungen im Modekonsumverhalten?"
"Wie wird die Struktur des Modemarkts 2024 und in fünf Jahren aussehen?"
"Lässt sich überhaupt noch zum Vollpreis verkaufen? Und wenn ja: Wann und wie lange?"
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