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Die Corona-Pandemie hat dem Thema Nachhaltigkeit auch in der Modebranche einen starken Schub gegeben. Bei der anstehenden Order spielt so auch die Frage "Wie grün soll das Sortiment sein?" eine große Rolle. Ein Gespräch mit Ole Schartl, Partner bei der Unternehmensberatung Hachmeister + Partner, über die Bedeutung von Nachhaltigkeit für die Modebranche und über die aktuelle Marktlage.
Veröffentlicht am 19.01.2022
TextilWirtschaft: Explodierende Coronazahlen, 2G-Regel und Winterwetter. Wie sind die Mitglieder des H+P-Panels umsatzmäßig ins neue Jahr gestartet?
Ole Schartl: Während der Dezember mit circa minus 20% zum Vorvorjahr (VVJ) – im Süden sogar minus 27% aufgrund der dort strengeren Maßnahmen – ein weiterer schwacher Monat geprägt von Corona war, verlief der Start ins neue Jahr positiver als erwartet. Die erste Woche 2022 endet mit minus 7,2% zu 2020 und weist damit die beste Umsatzveränderung seit Anfang November auf. Vor allem im Süden haben sich die Rückgänge verringert (minus 11%). In der zweiten Woche hingegen setzt sich der negative Trend vom Dezember mit minus 25% zum VVJ fort. Dabei ist der Anteil des Samstags am Wochenumsatz so gering wie zuletzt Anfang September. Anscheinend meidet die Bevölkerung potenziell hochfrequentierte Tage und verlagert die Einkäufe.
Wie hat sich die Frequenz in den ersten zwei Wochen des Jahres entwickelt?
Gemäß der beschriebenen Umsatzentwicklungen steigen die Frequenzen im Vergleich zu Ende Dezember wieder leicht an. Allerdings ist das Frequenzniveau noch deutlicher im Minus (ersten zwei Wochen: minus 41%). Das wird zum einen durch hohe Conversionrates, zum anderen über den Durchschnittsbon, der insbesondere durch die Erhöhung der Teile pro Kunde gestiegen ist, aufgefangen.
Welchen Einfluss hat die aktuelle Geschäftsentwicklung auf die gerade laufende Order?
Sicher wird die nächste Order auch wieder von vielen Unsicherheiten geprägt sein. In einer H+P-Umfrage Anfang Dezember hat der Handel die eigenen Umsätze 2022 im Durchschnitt mit minus 5% prognostiziert. Über ein Drittel der befragten Händler war aber der Meinung, das Jahr 2022 mit Pari bzw. einem Plus zu 2019 abschließen zu können. Gepaart mit den derzeit niedrigen Beständen (ca. 10% unter Vorjahr), kann die Order gar nicht so niedrig werden. Allerdings werden die Unsicherheiten eine weitere Verschiebung hin zu kurzfristigen Programmen sowie Nachorder mit sich bringen.
Die Pandemie hat dem Thema Nachhaltigkeit weiteren Schub gegeben. Wird das bei der Order eine größere Rolle spielen?
Ja. Auch wenn der Fokus der strategischen Themen beim Handel zur Zeit auf Digitalisierung/E-Commerce liegt, ist Nachhaltigkeit dennoch für den Einkauf bei den meisten Unternehmen ein klar annonciertes Thema. Um den Stationär-Bereich weiter zu stärken und um sich zu profilieren, braucht der Handel qualitativ hochwertige Botschaften in Richtung Konsument und muss die Bindung zum Kunden weiter forcieren. Dies ist durch gesamtgesellschaftlich wichtige Themen wie Nachhaltigkeit sehr gut möglich.
Wie haben sich nachhaltige Marken im stationären Modehandel entwickelt?
Der Umsatzanteil dieser Marken legte 2021 nochmal deutlich zu, auch wenn der Gesamtanteil immer noch sehr gering ist. Aber die beste Umsatzentwicklung und die höchsten Umsatzanteilsgewinne erreichte im vergangenen Jahr eine Marke, die man zu den Nachhaltigkeitspionieren zählen kann. Und auch Marken, die keine reinen Nachhaltigkeitsmarken sind, aber starke Anstrengung in diese Richtung unternehmen, waren umsatzmäßig erfolgreicher als andere. Leider ist es natürlich schwierig, insbesondere bei solchen Unternehmen, den Erfolg nur auf das Thema Nachhaltigkeit zu verorten. Denn das Nummer 1-Kriterium für den Konsumenten ist und bleibt das Gefallen.
In welchen Sortimentsbereichen spielt das Thema eine besonders große Rolle?
In der DOB und KOB gibt es Marken, die Nachhaltigkeit in ihrer DNA verankert und eine besonderes gute Umsatzentwicklung haben. Auch im Sportbereich haben wir unter den Top-Performern Anbieter mit sehr hohem Nachhaltigkeitsanspruch. In der Wäsche ist das Thema auch nicht neu, da die marktstarken Unternehmen schon seit Jahren auf das Thema Qualität und Nachhaltigkeit setzen und diese Anstrengung 2021 nochmal verstärkt haben. Wie so oft bei Marktentwicklungen hinkt die HAKA dem Trend noch etwas hinterher, wird aber sicher bald nachziehen.
Gibt es die "nachhaltige" Kundin/den "nachhaltigen" Kunden?
Nach unserer Marktbeobachtung wird es immer schwieriger, den Konsumenten einer eindeutigen Kategorie zuzuordnen. Aus aktuellen Verbraucherstudien geht jedoch eindeutig hervor, dass bereits drei Viertel der deutschen Verbraucher beim Einkaufen - nicht nur Bekleidung - auf die Nachhaltigkeit der Produkte achten. Dies zeigt, dass es sich bei nachhaltigen Produkten nicht um eine Randerscheinung einer kleiner Zielgruppe handelt, sondern das Thema einem Großteil der Bevölkerung wichtig ist, auch wenn noch nicht jede Kaufentscheidung davon betroffen ist.
Nachhaltige Mode wird auch immer mit höheren Preisen verbunden. Inwieweit sehen Sie hier vor dem Hintergrund der steigenden Preise ein Abflachen der Nachfrage nach nachhaltiger Mode?
Ich würde hier nicht von einem Abflachen der Nachfrage sprechen. Konsumenten-Studien zeigen, dass ein überwiegender Teil der Bevölkerung bereit wäre, mehr nachhaltige Produkte zu kaufen, wenn sie denn günstiger wären. Heißt für mich, die derzeitige Nachfrage sinkt wahrscheinlich nicht, aber erhöht sich möglicherweise auch nicht aufgrund steigender Preise.
Wo sehen Sie besondere Herausforderungen bei dem Thema für den stationären Modehandel?
Zum einem in dem in der Frage davor beschriebenen Paradoxon. Jedem Bürger sollte doch klar sein, dass die Umstellung zu nachhaltigerer Beschaffung erstmal meist höhere Preise mit sich bringt (geringere Mengen, höhere Löhne, teurere Materialien …). Nur will der Verbraucher deswegen nicht weniger zu höheren Preisen kaufen. Hier hat der Fachhandel eine große Aufgabe in Verbindung mit den Marken. Es geht darum, den Verbraucher mitzunehmen, Nachhaltigkeit und Preise transparenter in der Kommunikation zu machen. Der Verbraucher versteht doch nicht, dass auf der einen Seite Fast-Fashion Unternehmen sich als Nachhaltigkeits-Treiber positionieren und auf der anderen Seite der Fachhandel Marken zu höheren Preisen verkauft, die augenscheinlich kaum einen Nachhaltigkeitsanspruch haben. Hier sind dringend Aufklärung, Kommunikation und Transparenz von allen Seiten geboten.
Können stationäre Händler noch ohne nachhaltige Sortimente erfolgreich sein?
Das lässt sich nicht eindeutig mit "Ja" oder "Nein" beantworten. Da der Umsatzanteil mit stark nachhaltig geprägten Marken im Bekleidungsbereich noch gering ist müsste man die Frage mit "Ja" beantworten. Auf der anderen Seite hat der Fachhandel überwiegend Marken mit hohem qualitativen Anspruch, wo Nachhaltigkeit längst dazu gehört, also "Nein". Aus unserer Einschätzung für die Zukunft wird das Thema Nachhaltigkeit für den Fachhandel ein existenzielles Verkaufsargument werden bzw. bleiben.
Wie hoch wird perspektivisch der Umsatzanteil an nachhaltigen Labels sein bzw. wird sich das künftig noch abgrenzen lassen?
Ich bin der Meinung, dass die Abgrenzung künftig nicht zielführend ist. Sicher werden in den nächsten Saisons noch einige Marken/Labels eine besonders positive Entwicklung haben, die eine reine Nachhaltigkeits-DNA haben. Auf der anderen Seite beobachten wir die Anstrengungen der marktstarken Marken, sich im Feld der Nachhaltigkeitsinitiativen weiter zu entwickeln. Genau diese Entwicklung werden wir auch brauchen, wenn wir einen spürbaren Change in der Branche herbeiführen wollen. Das Thema kann sich nicht nur auf Start-ups oder Nischen-Player beziehen, sondern muss von allen Unternehmen der Fachhandelsbranche getragen werden. Dementsprechend werden wir dann einen sehr hohen Umsatzanteil haben. Wichtig ist dabei die weniger dogmatische Sichtweise auf die Unternehmen - wer ist wie nachhaltig. Es geht vielmehr darum, dass alle sich der Thematik kraftvoll annehmen und Schritt für Schritt in die Zukunft gehen und dies zum Wohle aller.
TextilWirtschaft, Azizia Freutel: Interview mit Ole Schartel von h + p: Nachhaltigkeit kann die Kundenbindung forcieren (Mittwoch, 19. Januar 2022)
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