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Marc Unterbrink, Partner bei hachmeister + partner: "Das wirtschaftliche Umfeld bleibt aufgrund der durch die Inflation gesunkenen Kaufkraft weiterhin herausfordernd. Insbesondere das mittlere Preissegment ist hiervon betroffen."
Veröffentlicht am 18.07.2023
Ein Gespräch mit Marc Unterbrink, Partner bei hachmeister + partner, über die Umsatzentwicklung im ersten Halbjahr, den Einfluss der Inflation auf das Kaufverhalten und die größten Herausforderungen im zweiten Halbjahr.
TextilWirtschaft: Inflation, Krieg in der Ukraine, Klimakrise, Energiekrise – welcher Aspekt der bestehenden Multikrise hat den Modekonsum in den ersten sechs Monaten am stärksten beeinflusst?
Marc Unterbrink: Am stärksten wurde der Modekonsum bzw. die Kauflaune sicherlich durch die Inflation beeinflusst. Die Steigerung der Energiekosten führte ebenso zu monetären Einschränkungen für die Verbraucher, was sich unter anderem auch im Modekonsum zeigte. Die Klimakrise hat das Thema Nachhaltigkeit in allen Handelsbereichen verstärkt, die direkte Beeinflussung des Modekonsums hierdurch ist allerdings eher gering.
Wie schließt Ihr Händlerkreis den Juni, das 2. Quartal und das Halbjahr ab?
Der Juni konnte mit einem zweistelligen Umsatzplus von 10,7% zum Vorjahr abgeschlossen werden (stationäres H.I.T-Panel). Aufgrund der schwächeren Monate April (plus 0,1%) und Mai (minus 3,9%) hat unser Panel im Quartal ein Plus von 1,8% erzielt. Im ersten Halbjahr konnte bei nur leicht gestiegenen Stückzahlen ein Umsatzplus von 9% erwirtschaftet werden. Der Umsatz-Gap zu 2019 beträgt minus 2,5% und konnte im Laufe des Jahres kontinuierlich verringert werden.
Wie haben sich in diesem Zeitraum die wichtigsten Kennzahlen entwickelt?
Im ersten Halbjahr konnten wir eine Steigerung der Frequenz von ca. 17% zum Vorjahr feststellen, wobei das Vorjahr zu Jahresbeginn noch von Corona-Restriktionen beeinflusst war. Die Conversion Rate beträgt aufgelaufen rund 23% und liegt damit unter dem Vorjahreswert. Der Durchschnittsbon stieg um knapp 4%, was größtenteils auf höhere Durchschnittspreise zurückzuführen ist. In der Gesamtbetrachtung lag die LUG bei 2,4 (minus 0,2 Prozentpunkte zum Vorjahr). Die Abschriften liegen bei einem aktuell 10% höheren Lagerbestand mit 12,4% nur leicht über dem Vorjahr (aber deutlich unter 2019). Der Anteil an Rotpreisartikeln ist ebenfalls leicht gestiegen.
Steigende Preise = Zugewinne für die Discountanbieter – stimmt diese Gleichung generell im ersten Halbjahr und im Modemarkt im Speziellen?
Die Kunden bekamen Preissteigerungen in allen Bereichen zu spüren und haben dadurch weniger Geld für Konsum zur Verfügung. Dies hat sich auch auf das Budget für Modekäufe ausgewirkt. Besonders im mittleren Preisgenre mussten einige Kunden auf günstigere Alternativen zurückgreifen, oder – bei Marken mit hoher Strahlkraft – insgesamt weniger Teile kaufen. Es gab also zwangsweise auch Abwanderungen zu den Discountanbietern. Käufer der hohen Preisgenres, insbesondere im Exklusiv-Segment, sind von der Situation weniger betroffen.
Wie hat sich die Zahl der Modekundinnen und -kunden entwickelt?
Ein Blick in unser Kundenkarten-Panel zeigt, dass die Anzahl der aktiven Kunden um mehr als 5% gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist, jedoch noch zweistellig unter dem Vergleichsjahr 2019 liegt. Die Neukundenquote war in den vergangenen Monaten spürbar rückläufig, das Thema der Neukundengewinnung sollte also bei jedem Händler verstärkt im Fokus stehen.
Lässt sich der gefühlte Bedeutungsverlust von Nachhaltigkeit im Modebereich schon konkret beziffern?
Nach und nach entwickelt sich dieses wichtige Thema zu einer Selbstverständlichkeit für alle Marktteilnehmer. Der Anteil nachhaltig produzierter Artikel steigt kontinuierlich und Kund:innen erwarten dies auch. In der aktuellen Situation haben jedoch der VK-Preis sowie die Produkteigenschaften tatsächlich einen größeren Einfluss auf die meisten Käufer als der bewusste Kauf nachhaltiger Artikel.
Welche Marktsegmente/Stilgruppen haben in den ersten sechs Monaten des Jahres zugelegt?
Alle Bekleidungssegmente haben im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr ein Umsatzwachstum erzielt. Die stärkste Umsatzveränderung kam mit fast 11% aus dem Herren-Bereich, gefolgt vom Damen-Segment mit 9,4%. Mit einem Umsatzplus von 2,7% entwickelte sich der Bereich Kinder unterdurchschnittlich. Sowohl in der HAKA als auch in der DOB performten die Mainstream-Stilgruppen in Summe besser als die Premiumsegmente. In beiden Bereichen entwickelte sich auch der Modern Classic Bereich am positivsten. Trendy war insbesondere in der HAKA die schwächste Stilgruppe.
Wie stellt sich die Ertragslage im Modehandel dar?
Der Nettorohertrag erhöhte sich im ersten Halbjahr bei einer stagnierenden erzielten Kalkulation auf der Ebene 'Haus Gesamt' gegenüber dem Vorjahr um 8,8%. Das Sportsegment erzielte (bei gesunkener Kalkulation) nur eine unterdurchschnittliche Rohertragsveränderung von 3,3%.
Mit P&C, Görtz, Galeria, Ahlers gab es so viele Insolvenzen wie eigentlich noch nie in so kurzer Zeit. Wie wirken sich diese Nachrichten auf den Modekonsum aus?
Natürlich nehmen die Konsumenten diese Nachrichten wahr. Die ersten Schließungen etwa von Galeria-Häusern sind nun sichtbar. Jetzt bleibt abzuwarten, wie die Städte mit dieser Situation umgehen, insbesondere was die sinnvolle Nutzung der Immobilien angeht. Dies wird Einfluss auf die Anziehungskraft der Innenstädte, deren Frequenz und nicht zuletzt den stationären Modehandel haben.
Hat sich die Verschiebung des Modekonsums von online nach stationär fortgesetzt?
Erfreulicherweise ja! Nach dem starken Wachstum der Vorjahre war die Online-Umsatzentwicklung im ersten Halbjahr rückläufig. Das Niveau des Online-Handels ist schon deutlich höher als vor der Corona-Krise, stagniert jedoch zurzeit.
Wie entwickeln sich die Online-Umsätze in Ihrem Händlerkreis?
In unserem Händlerkreis entwickelten sich die Online-Umsätze im ersten Halbjahr im Vorjahresvergleich aufgelaufen mit minus 5,8% negativ. Die um 14% gestiegenen Durchschnittspreise konnten den deutlich rückläufigen Stückumsatz (minus 17,4%) noch abmildern. Mit 54,5% bewegte sich die erzielte Kalkulation auf Vorjahresniveau und konnte damit keinen positiven Effekt auf den Nettorohertrag ausüben.
Wie hat sich die Bedeutung des Plattform-Geschäftes für den Modehandel entwickelt?
Sie hat abgenommen. Die Händler, die das Online-Geschäft ernsthaft betreiben, investieren in ihren eigenen Online-Shop, was letztendlich auch nachhaltig auf die Marke des Händlers einzahlt. Nichtsdestotrotz sind die Plattformen ein weiterer Kanal zur Reduzierung der Warenbestände.
Was erwarten Sie für die zweite Jahreshälfte und was werden die größten Herausforderungen sein?
Das wirtschaftliche Umfeld bleibt aufgrund der durch die Inflation gesunkenen Kaufkraft weiterhin herausfordernd. Insbesondere das mittlere Preissegment ist hiervon betroffen. Einen zusätzlichen Schwerpunkt bilden die Frequenzen in den Innenstädten, deren Belebung sowohl in den Händen der Politik liegt – als auch durch ein gutes Marketing bei den Händlern gesteuert werden sollte. Die Personalsituation ist nach wie vor angespannt. Qualifiziertes Personal zu finden und zu halten, bleibt eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass die Ansprüche an das Verkaufspersonal zukünftig steigen werden, Stichwort Entwicklung zum Stylisten, perfekte Gastgeber sein.
TextilWirtschaft, Aziza Freutel: "Umsatzplus von 9% bei nur leicht gestiegenen Stückzahlen" (Dienstag,11. Juli 2023)
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