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"Wenn wir eins in den vergangenen Jahren gelernt haben, dann ist es, Krisen zu managen und zusammenzurücken", sagt Marc Unterbrink, Partner bei der Unternehmensberatung Hachmeister + Partner mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen für den stationären Modehandel. Ein Gespräch über den Abschluss des ersten Quartals, die Entwicklung der wichtigsten Kennzahlen und die aktuelle Kostensituation.
Veröffentlicht am 13.04.2022
TextilWirtschaft: Seit Anfang April ist die Maskenpflicht im Einzelhandel passé. Macht sich das bei Umsatz- und Frequenzentwicklung im Modehandel schon bemerkbar?
Marc Unterbrink: Wir beobachten bereits seit Mitte März, dass sich das Umsatzdefizit – verglichen mit dem Jahr 2019 - von Woche zu Woche etwas verringert. Dieser Trend hat sich auch in der ersten Aprilwoche weiter fortgesetzt. Seit dem Ende der Maskenpflicht ist zudem festzustellen, dass auch die Frequenz etwas anzieht; sie befindet sich aber mit ca. minus 30% immer noch weit unter dem Vorkrisenniveau.
Wie hat Ihr Händlerkreis den März abgeschlossen?
Der Bekleidungsmarkt im stationären H+P-Panel verlor im März 19,8% an Umsatz verglichen mit dem Vorkrisenniveau des März 2019. Damit steht der März etwas besser da als der Januar und der Februar, dennoch verzeichneten alle Sortimentsbereiche zweistellige Umsatzrückgänge. Inklusive der Onlineumsätze fiel der Verlust mit minus 17% etwas geringer aus. Am schwächsten schnitten Schuhe (minus 25%) und das Herren-Segment (minus 24%) ab. Die KOB (minus 13%) und die Damen-Wäsche (minus 14%) verzeichneten die geringsten Verluste.
Im Sport-Bereich konnten die Verluste zu 2019 mit minus 15% insgesamt geringer gehalten werden als im Fashion-Segment. Die Sportwelt Radsport sticht mit einem Umsatzplus von knapp 80% hervor und ist damit die einzige Sportwelt, die einen Zuwachs zum Vorkrisenniveau verbuchen konnte. Sportswear liegt mit minus 27% deutlich unter dem Durchschnitt.
Wie haben sich die übrigen Kennzahlen entwickelt?
Die Preisabschriften liegen für das erste Quartal bei 23,3% (Bekleidung Gesamt) und damit 2,2% unter dem 2019er Niveau. Die Händler gehen hier noch sehr sensibel vor. Die positive Entwicklung der Abschriften sorgt für eine Erhöhung der erzielten Kalkulation, welche mit 55,4% um gut 1%-Punkt gestiegen ist. Das Preisniveau ist für das 1. Quartal um etwa 6% gestiegen und die Bestände für den März lagen knapp 10% unter dem Vergleichswert aus 2019. Die LUG zeigt in den letzten Monaten einen leichten Aufwärtstrend, liegt für das erste Quartal mit 2,2 jedoch noch hinter dem Vorkrisenniveau.
Die Frequenz lag im ersten Quartal relativ konstant circa 35% unter dem Vorkrisenniveau. Nach wie vor kaufen die Kunden sehr gezielt und somit liegt die Conversion Rate mit etwa 28% deutlich höher als in 2019. Der Durchschnittsbon stieg um fast 11%. Für den Sportbereich liegen die Preisabschriften mit 19,6% unter dem Niveau des Bekleidungsmarktes, wobei die Veränderung zum Vorkrisenniveau mit 2% in etwa gleich ausfällt. Die Bestände im Sportbereich lagen knapp 19% unter dem Vergleichswert aus 2019.
Hohe Coronazahlen, Lieferkettenprobleme, stark steigende Preise und dann noch der Krieg in der Ukraine. Wie bewerten Sie das 1. Quartal 2022 für den Modehandel?
Sowohl die Händler als auch die Hersteller – und nicht zuletzt die Kunden – haben sich die letzten Wochen sicherlich anders vorgestellt. Aus Händlersicht standen die Zeichen für den Verkauf der Frühjahrssaison gar nicht so schlecht, selbst das Wetter hat mitgespielt. Die genannten Ereignisse beschäftigen und verunsichern uns jedoch alle, deshalb verlief das erste Quartal enttäuschend.
Wenn wir aber eines in den vergangenen Jahren gelernt haben, dann ist es Krisen zu managen und zusammenzurücken. Das ist es auch, was meiner Meinung nach passieren wird: Händler und Hersteller rücken näher zusammen, genauso wie die Händler mit ihren Kunden enger im Austausch stehen werden.
Wie haben sich Umsatz und Ertrag im H+P-Panel in den ersten drei Monaten des Jahres entwickelt?
Nach dem deutlichen Umsatzminus von 29% (Bekleidung gesamt) im Januar, haben sich die Umsätze leicht erholt, lagen aber Ende März für das Quartal mit knapp 24% immer noch stark hinter dem Vorkrisenniveau. Für den Nettorohertrag verhält es sich ähnlich, hier ist die Differenz zu 2019 aufgrund der positiven Entwicklung der erzielten Kalkulation jedoch geringer ausgefallen.
Ist das ein überraschendes Ergebnis?
Hätten Sie mir diese Frage zu Jahresbeginn gestellt, dann hätte mich dieser Quartalsabschluss schon negativ überrascht. Mit dem jetzigen Wissen und der gestiegenen Unsicherheit durch die aktuellen Krisen ist die Kaufzurückhaltung der Kunden allerdings weniger überraschend.
Was ist produktseitig besonders gut gelaufen?
In der DOB performten die Sweatshirts mit einem Umsatzplus von über 45% nicht nur deutlich stärker als in 2019, das Sortiment war damit im 1. Quartal auch das einzige umsatzrelevante Sortiment, welches überhaupt über dem 2019er-Niveau lag. Mit deutlichem Abstand, jedoch immer noch überdurchschnittlich, folgten die Jacken mit minus 12%.
Auch in der HAKA verkauften sich die Sweatshirts mit plus 17% gegenüber 2019 am besten, gefolgt von T-Shirts (minus 5%). Auffällig ist, dass der Umsatzverlust der Herrenjacken mit minus 24% weitaus höher ausfiel als in der DOB.
Im Sportbereich zeigte der Radsport im 1. Quartal die dynamischste Entwicklung, wobei in den Produktgruppen Textil und auch Hartwaren eine Verdopplung der Umsätze stattfand. Durch die starke Entwicklung wuchs der Umsatzanteil auf über 4%.
Welche Stilgruppen waren gefragt?
In der DOB waren besonders Marken der Stilgruppen Modern und Trendy gefragt, wobei das Premiumsegment das geringere Umsatzminus zu 2019 auswies und der Umsatzanteil hier anstieg. Für die HAKA zeigt sich ein ähnliches Bild, auch hier waren die Stilgruppen Modern Premium und Trendy am stärksten gefragt und wiesen dementsprechend das geringste Umsatzminus aus. Das Classic-Segment hat in beiden Bereichen am schlechtesten abgeschnitten.
Die steigenden Preise belasten nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern wirken sich auch bei den Modehändlern kostenseitig aus. Wie stark hat das die Kostenstruktur in den Unternehmen verändert?
Die Warenkosten sind 2021 anteilig gestiegen, was zum einen auf die Verschlechterung der Einkaufskonditionen zurückzuführen ist (bei verringertem Ordervolumen), zum anderen aber auch auf die gestiegenen Abschriften (2021 zu 2019). Auffällig ist außerdem der schon vergangenes Jahr gestiegene Anteil der Energiekosten am Bruttoumsatz, der sich dieses Jahr noch einmal deutlich erhöhen wird. Der Anteil der gesamten Kosten aus der Verkaufstätigkeit am – nun deutlich geringeren – Bruttoumsatz ist im vergangenen Jahr um 3%-Punkte zu 2019 gestiegen.
Wie steuern die Modehändler gegen?
Viele Modehändler haben das Thema Digitalisierung ganz oben auf Ihrer Agenda. Durch Automatisierungen, effizientere Arbeitsabläufe und nicht zuletzt auch weniger Reisetätigkeiten werden Kosten gesenkt. Orderprozesse werden weiter optimiert und natürlich planen die Händler ihre Flächenbesetzung zunächst noch vorsichtig aufgrund der aktuellen Situation. Dennoch finden weiterhin auch mutig gezielte Investitionen in die Zukunft der Unternehmen statt.
Welche Herausforderungen sind derzeit die größten für die Modeanbieter?
Neben dem steigenden Preisniveau in vielen Bereichen stellen nach wie vor die nachlassenden Frequenzen eine große Herausforderung dar, denen mit neuen Konzepten und einer Revitalisierung der Innenstädte gegengesteuert werden muss. Der Abverkauf der Frühjahr-/ Sommer-Saison ist unter den aktuellen Bedingungen ebenfalls herausfordernd, hier gilt es Rabattschlachten und einen Wertverlust von Ware zwingend zu vermeiden.
Wichtig ist außerdem, die Verbindung zum Endkunden nicht zu verlieren und genug Energie in zielgerichtetes Marketing, sowie ein kanalübergreifendes Einkaufserlebnis zu stecken. Nicht zuletzt stellt das Mitarbeiter-Recruiting die Unternehmen aktuell vor zusätzliche Herausforderungen.
Was erwarten Sie für das zweite Quartal 2022?
Ich persönlich erwarte eine Verbesserung der Umsätze – jedoch nicht das Erreichen des Vorkrisen-Niveaus. Die positive Tendenz der letzten Wochen lässt dies bereits erkennen.
Eine Verschiebung der Eckpreislagen ist wahrscheinlich unumgänglich und es ist noch ungewiss, wie die Kunden darauf reagieren. Im Fashion-Segment wird die Markenbegehrlichkeit sowie die Modernität der Artikel eine immer wichtigere Rolle spielen.
Wie stellt sich die Liquiditätssituation im Modehandel derzeit dar?
Viele der Händler, mit denen wir im engen Austausch stehen, haben kostenseitig ihre "Hausaufgaben" – zu großen Teilen schon vor der Corona-Krise – gemacht und kamen deshalb mit zwei blauen Augen durch die Pandemie. Durch die Inanspruchnahme der staatlichen Hilfen und aufgrund der insgesamt – im Vergleich zum Branchendurchschnitt – besseren Kostenstruktur unserer Mandanten, konnte die Weiterführung der Unternehmen sichergestellt werden – zum Teil sogar mit positivem Betriebsergebnis. Dennoch ist die Situation natürlich alles andere als entspannt. Die Händler haben mit weiter steigenden Kosten zu kämpfen, investieren aber sehr gezielt auch mutig in die Zukunft.
Was sind im Finanzbereich derzeit die größten Herausforderungen und Risiken?
Kostenseitig ist die Entwicklung der Energiekosten sowohl aktuell als auch zukünftig ein großer Faktor. Ebenso könnten aus Risiko-Gesichtspunkten Umsatzerlöse infolge eines anhaltenden Konjunktureinbruchs ausbleiben. Die Aufwände für das Mitarbeiter-Recruiting werden voraussichtlich weiter steigen. Die Verschärfung der Situation bei der Warenbeschaffung durch Preissteigerungen, Zeitpunkt und Vollständigkeit der Lieferungen stellt ebenfalls ein gewisses Risiko dar.
TextilWirtschaft, Azizia Feutel: Interview mit Marc Unterbrink, h + p: "Gelerntes Krisen-Management ist jetzt wieder gefragt" (Mittwoch, 13. April 2022)
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